So, jetzt gebe ich doch noch meinen Senf dazu - und sei es nur, die Diskussionsbeiträge zu ordnen.
Die Kollektivschuld-Diskussion muss in diesem Forum nicht wieder aufgekocht werden, dazu gibt es anderswo schon diverse Meinungen, leider eben auch den Versuch der "Braunen" sprich Rechtsradikalen, das Thema für sich zu instrumentalisieren. Motto: Wer sich über das Betroffenheits-Trommelfeuer nur genug ärgert, wählt (vielleicht) NPD. Ein Schluss, der vor allem in den Neuen Bundesländern manchmal sogar zutrifft, wie die dortigen Wahlstatistiken belegen. Niemand lässt sich gerne die Schuld für die Taten der Eltern- und Großeltern-Generationen zuschreiben, wenn er damit selber nichts (mehr) zu tun hatte und hat.
Ein verantwortlicher, nichts beschönigender und nichts weglassender Umgang mit der Geschichte ist fraglos dennoch notwendig. Wenn man vermeiden will, dass sich Geschichte wiederholt, muss man fragen, warum es zum Holocaust kam - und dann bereits den schwächsten Tendenzen entschlossen entgegentreten. Dies setzt aber voraus, dass man sich mit Geschichte auskennt und die Tendenzen als solche nicht nur erkennt, sondern auch eine passende Gegenstrategie entwirft.
Insofern ist der "Zug der Erinnerung" zu begrüßen, denn er informiert in sachlicher Manier über ein dunkles Kapitel deutscher (Eisenbahn-) Geschichte, versucht aber nicht, den heute Lebenden Schuldgefühle zu suggerieren. Umso unverständlicher erscheint mir da die Entscheidung der Bahn AG, dem Projekt die zeitweilige Stationierung in Berlin Hbf zu verweigern, wo der Multiplikationseffekt wohl am stärksten gewesen wäre. Bedenkt man, dass Mehdorn ein SPD-Mann ist und also schon anhand der Parteihistorie (aktiver Widerstand gegen die Nazis, notfalls bis zum Tod) eine gewisse Selbstverpflichtung haben sollte, um eine derartige Informations-Aktion zu unterstützen, wundert man sich um so mehr.
Vielleicht liegt es ja daran, dass der "Zug der Erinnerung" durch die differenzierte Präsentation nicht für pauschale Schuldzuweisungen und eindimensionales Betroffenheitsgeschwafel taugt - kritische Auseinandersetzungen mit dieser Zeit und ihren Gräueln sorgen offenbar immer noch für Irritationen, auch und gerade auf hoher und höchster Ebene.
Der große polnische Regisseur Andrzej Wajda hat kürzlich den Film "Katyn" herausgebracht, in dem der Massenmord an polnischen Offizieren durch russische Erschießungskommandos beschrieben wird: Die (Tatsachen oftmals verzerrende) Schwarzweißmalerei wird endlich durch eine ausgewogenere Darstellung ergänzt.
Um es klar zu sagen: Wir dürfen nicht verharmlosen, nicht den millionenfachen Tod in den Jahren zwischen 1933 bis 1945 kleinreden und auch nicht den Stammtisch-Antisemitismus ignorieren, aus dem jederzeit Schlimmeres erwachsen kann - aber wir müssen auch aufhören, uns ständig selber vors Schienbein zu treten und zerknirscht auf der Arme-Sünder-Bank zu sitzen, denn dies wird zunehmend zum Bumerang, der die revanchistische Wut radikaler Kreise anstachelt und scheinbar bestätigt. Wir haben in den letzten Jahren bewiesen, dass wir es verstehen, die Demokratie zu verteidigen und dass wir bei Menschenrechtsverletzungen nicht tatenlos zusehen. Es ist jetzt einfach Zeit für ein anderes Selbstbild - schon der Stabilität unserer Gesellschaft halber.
Gruß, Hans